top of page
Suche

Magie liegt in der Luft

  • Autorenbild: Eliane Graf
    Eliane Graf
  • 14. Aug. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. Nov. 2023

Ein fliegendes Einhorn, drehte seine Runden über einem Bauerndorf. Gemächlich. Sich Zeit lassend. Hin und wieder mit seinen Flügeln schlagend. Pfeifend. Schon von Weitem sah es das Mädchen, das auf der Schaukel sass und sich gedankenverloren hin und her baumeln liess. Es setzte zur Landung an. Direkt vor dem schaukelnden Mädchen, welches abrupt aufhörte, seine Füsse in die Erde rammte und mit geweiteten Augen fragte: «Was bist du?» Empört über diese sinnlose Frage, stiess Fred schnaubend Luft durch seine Nüstern. «Tss, Belle... Mit deinen Augen ist doch alles in Ordnung, oder? Ich heisse Fred und bin ein fliegendes Einhorn. Hey und pfeifen kann ich auch!» Stolz vollführte er seine neuerworbene Kunstfertigkeit. Belle blieb vor Staunen förmlich der Mund offenstehen. Sie winkte entnervt ab. «Hör’ auf damit, Fred! Du musst noch üben und das am Besten allein...» Fred hörte tatsächlich auf, lächelte sie an und verblasste.

Das penetrante, allmorgendliche Piepen ertönte in dem abgedunkelten Schlafzimmer. Stöhnend schlug Belle mit der Hand nach dem lästigen Wecker und kuschelte sich wieder in die Wärme. Sie wollte ihren Traum noch nicht loslassen. Ein Klingeln schrillte exakt zehn Minuten später durch dasselbe Zimmer. Sie stand auf und machte die drei Schritte zu ihrem Bücherregal, wo ein alter Wecker alles gab, um sie definitiv aus den Federn zu holen. Der Kaffeeduft liess sie wie ferngesteuert zur Küche tapsen, wo sie sich einige Schlucke gönnte, bevor sie herzhaft gähnte. Liebevoll tätschelte sie die Kaffeemaschine. »Danke, Knut! Ein Hoch auf die Wunder der modernen Technik. Wer auch immer den

Timer erfunden hat, sollte gebührend geehrt werden. Nicht wahr, Knut?» Der Kaffee rauschte durch ihre Blutbahnen und weckte ihre Lebensgeister. An ihrem Kühlschrank hing ein buntes Durcheinander von farbigen Zetteln. Notizen, lustige Sprüche, To-do- sowie Einkaufslisten und ihre Wunschliste für Weihnachten. Ihr Blick blieb daran hängen. Sie wurde bald 30 und vernahm überdeutlich das Ticken ihrer biologischen Uhr. Ihre lieben Verwandten halfen zusätzlich mit Kommentaren nach, die wie Lautsprecher für eine Verstärkung in ihrem Inneren sorgten. Verzweifelte Situationen erfordern nun mal unge- wöhnliche Massnahmen, was sie – wie in Kindertagen - einen Weihnachtszettel schreiben liess. Mit nur einem Wunsch: einen Mann. Humorvoll, freundlich und ein gutes Herz sollte er haben. Ein Job wäre auch nicht zu verachten, aber hey, wer war schon perfekt? Sie trank noch einen Schluck Kaffee und schlüpfte in ihren Mantel. Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr nahm sie ihre pinke Handtasche, die fein abgestimmt, zu den ebenfalls in Pink gehaltenen Knöpfen ihres tizianblauen Mantels passten. Eigentlich war es magenta, der Einfachheit halber, beliess sie es bei Pink. Sie liebte es nun mal bunt. Sie hastete die Treppe hinunter, nur um auf Frau Schmid zu treffen, die am Ausgang stand, wie ein Wachhund. Die Seniorin mit ihren dunkel nachgemalten Augenbrauen, die leider etwas zittrig ausfielen, ebenso wie ihr Lippen- stift in karmesinrot. Gewandet war die alte Lady in einen verblassenden, hellblauen Bademantel, der seine besten Tage sicher schon vor zehn Jahren hinter sich gelassen hatte und deshalb die genaue Farb- bezeichnung offen liess. Innerlich augenrollend, riss sie sich am Riemen. Mit einem kurzen ‘’Tschuldigung, bin in Eile’ auf den Lippen, entging sie der allwissenden, neugierigen Nachbarin.

Noch mal gut gegangen, dachte sie aufatmend. Schnellen Schrittes, ging sie den Bürgersteig entlang. In Gedanken war sie bereits im Büro, plante ihren Tag und bemerkte die dünne Hundeleine nicht, die über den Gehweg gespannt war. Sie stolperte prompt und schlug unsanft auf. Einen kurzen Moment glaubte sie sogar Sterne flackern zu sehen. Eine aufgeregte ältere Dame kam mit wedelnden Händen auf sie zu gerannt. Die Frau sah Frau Schmid ziemlich ähnlich. Ausgenommen der fehlende Bademantel. Ihr Dackel schlurfte ebenfalls an Belle heran und schnüffelte an ihr. Skeptisch beäugte sie ihn und rollte sich auf ihren Hintern. So sass Belle da und liess die Dackelbesitzerin ihren Monolog halten, während sie sich die Stirn befühlte. Dackel Wendel war schneller als Frauchen gewesen. Bein-hebend hinter einem Abfallkübel, darum hatte sie ihn nicht gesehen. Die Hundebesitzerin war ungesehen hinter dem Häuserblock zurückgeblieben. Sie stellte sich als Frau Müller vor und versuchte unbeholfen ihr aufzuhelfen. Belle klopfte hilflos auf ihren Arm. «Schon gut. Nichts passiert», versuchte Belle sie zu beruhigen. Jedoch ohne Erfolg. Frau Müllers plötzliche Blässe und Hand auf ihrem Herzen, liessen Belle eilig handeln und sie auf den Boden setzen. Eine freundliche Passantin rief die Ambulanz, während sie schnell eine Nachricht ins Büro schrieb, dass sie sich verspäten würde. Beim Verladen in den Krankenwagen, übergab ihr Frau Müller Wendels Leine mit der Bitte, ihn nach Hause zu bringen. Bevor sie sich’s versah, stand sie mit Wendel’s Leine alleine auf dem Bürgersteig. Stirnrunzelnd sah sie auf Wendel hinab, der fröhlich mit dem Schwanz wedelte. Dann blickte sie in den wolkenverhangenen Himmel und fragte laut «Echt jetzt?». Leise vor sich hin fluchend suchte sie, Google sei Dank, die von Frau Müller angegebene Adresse und begann, mit Wendel los zu laufen. Zwei

Querstrassen später, stand sie vor einem Wohnblock und klingelte. Ein Mann in grauem Hemd öffnete. Aber hallo, dachte sich Belle. Braune Augen, umbrabraune um genau zu sein, die sie an die angebrochene Tafel Schokolade auf ihrem Nachttisch erinnerten... Jetzt hatte sie für einen kleinen Moment den Faden verloren... Ach ja, genau diese Augen sahen sie durch die Gläser einer dünnen, goldumrahmten Brille freundlich an. Braune, ockerbraune, Haare, durch die seine Hand gerade strich. Er lächelte. Oh du liebes Bisschen, klatschte ihre Hand an ihre Stirn. Nur in Gedanken, natürlich. Grübchen zierten sein Gesicht, wie die berühmte Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Weiche Knie machten sich bemerkbar, während Herr Müller sprach: «Meine Mutter hat mich bereits benachrichtigt. Vielen Dank, dass sie Wendel nach Hause gebracht haben». Belle’s Herz klopfte aufgeregt. Er nahm dankbar ihre Hand, drückte sie und nahm ihr dann Wendel’s Leine ab. Sie dachte an ihre Wunschliste und zartes Rosa überzog ihre Wangen. Ein breiter, behaarter Unterarm legte sich auf Herrn Müllers Schultern ab. Dass es sich dabei ebenfalls um ein ansehnliches Exemplar der Gattung Mann handelte, war spontan zur Nebensächlichkeit degradiert worden. Die Ernüchterung beim Anblick des süssen Paares, kühlten ihre warmen Wangen wie Eiswasser. Schnell verabschiedete sie sich. Mit kraftlos herabhängenden Schultern schlenderte sie die Strasse entlang. Den Spielplatz hatte sie beim Herkommen gar nicht bemerkt, dachte sie verwundert. Die beiden Schaukeln bewegten sich leicht im Wind, pendelten hin und her. Lockten sie. Sie hatte gerade keine Kraft sich diesem Sog zu entziehen und setzte sich erschöpft darauf. Während

sie immer kräftiger zu schwingen begann, musste sie unwillkürlich an den Bauernhof denken, wo sie aufgewachsen war. Und an... Fred? Ein kleines Mädchen hüpfte auf sie zu. Blonde Locken quollen aus der erdbeerroten Mütze und tanzten um ihren Kopf. Belle bremste und bohrte ihre Füsse in den Boden, da sich das Mädchen direkt vor Belle hinstellte. «Du bist schon gross. Ich habe noch nie Grosse auf der Schaukel gesehen. Das ist ja super. Ich heisse Katja. Kommst du mit zu uns zum Mittagessen? Papa kocht. Und zwar gar nicht so übel.» Ein verbaler Wasserfall rauschte über Belle hinweg. Ohne Punkt und Komma sprudelte es fröhlich weiter. «Papa kocht, weil Mama im Himmel ist. Manchmal kommt Oma kochen. Was eindeutig besser ist.» Belle hörte zu, als ein Mann vor ihnen auftauchte und sich vor Katja niederkniete. Sein mahagoniebraunes Haar linste unter der weinroten Kappe hervor. «Hab ich dir nicht gesagt, du sollst auf mich warten, junges Fräulein?» Er musterte Katja streng. «Ich hab’ sie zum Mittagessen eingeladen. Fred sagt, sie ist voll in Ordnung», teilte seine Tochter ihm mit, während ihr Finger auf Belle zeigten. Etwas genervt stand er auf, räusperte sich und streckte der jungen Frau auf der Schaukel die Hand entgegen. Sein Blick verhakte sich in ihren und er vergass, dass er sich gerade vorstellen wollte. Belle fragte: «Fred?» Katja lachte und deutete mit dem Finger nach oben, wo Fred pfeifend und fliegend seine Runden über ihren Köpfen zog.

Katja’s Vater zuckte leicht verlegen mit den Schultern: «Eh... Ihr unsichtbarer ... Freund». Belle drückte fest seine Hand und lachte strahlend: «Ich komme gern zum Essen».



 
 

© 2024 Eliane Graf - haerzchaefer.ch | created with love by connygunz.com

handgemachte grusskarten schweiz | kreative grusskarten schweiz | personalisierte karten schweiz | personalisierte happy birthday karte | personalisierte glückwunschkarte

bottom of page