Die Kunst der Beobachtung der Dinge
- Eliane Graf
- 26. Okt. 2023
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Nov. 2023

Schneestrudel drehen sich wie ein freundlich gesinnter Hund bei der Begrüssung. Weiss mit Nuancen von wattebauschenen, grauen Rändern. Die grüne, bereits von jungem Gras geküssten Hügellandschaft, blendet in alaskaweiss. Schneewälme türmen sich in neu erfundener Manier. Vom pfeifenden Wind zurechtgestutzt. Fast wie beim Frisör: ein wenig hier weggeschnippelt, da wegrasiert. Kanten werden geschliffen und geglättet. Nur um kurz darauf wieder verweht zu werden. Wie die Kante des Grand Dixence erhebt sich eine steile Wand mit einer leicht überhand gewinnenden Neigung, die sich zuspitzt. Vermutlich ist es der besonderen Klebeeigenschaft des lockeren Frühjahrsschnee geschuldet, dass dieses Naturkunstwerk, entgegen aller physikalischen Gesetze, zu halten scheint. Freilich, bei den ersten warmen Sonnenstrahlen ist es eh dahin.
So plötzlich wie das Schauspiel begonnen hat, hört es wieder auf. Das Pfeifen und Dröhnen des Windes, die herumtanzenden Schneeflocken und das Auftürmen der Wolkenberge am Horizont. Stille. Die Schneedecke verschluckt alles, dämpft die Geräusche, saugt sie in sich auf. Watteweich. Kaltklirrend.
Der Nebel hebt seinen Schleier, spukt die Scheune wieder aus und den dahinter liegenden Wald. Dunkel und messerscharf hebt sich seine Silhouette aus dem Weiss hervor. Das Dach der Scheune mit seiner klaren Struktur. Der bauschige Wald mit seinen feinen Zacken und Spitzen, die den Horizont von der Waldgrenze trennen. Atemberaubend rasant platzt die Wolkendecke, einer Wunde gleich, auf und macht einem Fetzen himmelblau Platz. Adolf Stähli’s ‘geschenkter Tag’ haucht durch die Luft, während das Blau sich ausdehnt:
Wenn der Himmel voller Wulche steit, git es Tage, wo di nüt me fröit. De vergiss im Läbe nie, dass alli Wulche witerzieh.
Der ursprünglicher Plan mit einem lapidaren ‘c’est la vie’ zu schliessen, hat sich ebenfalls verzogen. Mundart hat sich eingeschlichen und ein bisschen Wehmut. Ein unverhofft, kommt oft, quetscht sich in meine Gedanken. Die blauen Wolkenlöcher nehmen zu, werden grösser. Verdrängen die grauen schweren Wolken. Stossen sie über den Rand des Sichtfeldes. Oder machen sie einfach nur dem Himmelblau Platz? Die Sonne taucht hinter der Wolkendecke hervor. Blendend hell und warm. Immer noch da. Immer schon da.